PROSA TEXT CUTS
Auszüge aus Texten von Klaus Maeck
aus: Klaus Maeck, Weltwundern, Hamburg: Freibank, 2003
Als alter Fan und Beobachter der radikaleren Eastcoast-Yippie-Gangs hat mich der Zerfall der Hippiekultur immer sehr interessiert – vor allem, weil sich die Kalifornier schon immer für die Klügeren und Besseren hielten. Erst zuviel LSD schlucken und das Ganze dann als New Age-Philosophie verkaufen. Buckminster Fuller baute hier in dieser Kolonie seinen ersten, inzwischen berühmten „Dome“, eine aus Dreiecken geformte gigantische Halbkugel. Alle berühmten Hippie-Bands haben hier schon gespielt - Grateful Dead, David Crosby und Neil Young, und Johnny von den Fugs lebt heute noch hier. „There is magic in the mud!“ Ja, matschig ist es wirklich inmitten des stinkenden Bay-Wassers, ein stehendes Gewässer voller Abfälle und Scheiße und ab und zu fällt eines der vielen Kinder hinein. Hauptsache, es ist Bier und Pot da. Und Bernie hat neues Speed, die ganze Kolonie schläft drei Tage lang nicht, spielt Banjo und Gitarre am Feuer („There is a house in the rising sun“, nochmal zum Mitsingen) oder fickt im Matsch. Out of control.
Der große Vorteil des Kopierens ist, dass man dazu kein großes Talent braucht, nicht einmal konzentrierte Aufmerksamkeit. Alles, was zu tun bleibt, ist gut auszusuchen, was man kopieren will. Alle kopieren, ich tue hier nichts anderes. Ein paar Absätze umstellen, Worte umdrehen, Bedeutungen vertauschen, in neue Zusammenhänge bringen. Mutationen zulassen. Allein die geschickte Aus-wahl des Grundmaterials ist wichtig und es erfordert durchaus Genie, nur das Beste zu nehmen. Brion Gysin machte schon früh darauf aufmerksam, dass die Malerei in diesem Punkt der Literatur um Jahrzehnte voraus sei. Cut Up. Wie komme ich ins Lachen, wenn ich die neuesten musikalischen Trends beobachte. Das Kopieren bekommt eine ganz neue Dimension. Es wird nicht mehr nur nachgemacht, heute nimmt man das Original auseinander und fügt es anders wieder zusammen. Alte Hits werden so zu neuen Hits durch einen neuen Mega-Mix. Mit der digitalen Inflation, mit der Verbreitung von Computern in den Kinderzim-mern wird sich die Zahl der Sample-Punks vervielfältigen. Und schon wieder sind die Literaten über ihren alten Textstümpfen eingeschlafen.
Eine Fiesta, schwer betrunken. Mezcal-Träume zwischen penetranten
bayrischen Trachtenkapellen und aufdringlichen Kindern, die Fangen
spielten. Wenn ich mich verliebte, dann in Kinder. Die Tortillabäckerin
zwinkerte mir wieder zu. Über dem leeren und verdreckten Swimming
Pool des Hotels Rio tauchten plötzlich die Berge auf wie ein
wunder-sames Zeichen. Mein Fuß schmerzte. Ich erwischte mich,
wie ich dabei ab und zu gierig das Telefon anstarrte. Kein Anschluss
unter dieser Kälte. Blut, viel Blut. Stinkendes, von Fliegen
überdecktes Fleisch. Zerquetschte Hunde, ein verkrüppelter
Bettler, grimmige Pistoleros mit geschultertern Pumpguns. Am Nebentisch
verwickelte sich der Polizeichef in sinnlose Widersprüche.
Zusammenhanglose
Szenen auf der Suche nach einem uralten rituellen Rausch. Das Rezept
eine abgerissene Notiz in Spiegelschrift. Ein gefährliches Leuchten,
das höchstens Indianer zustande brachten. Ich bekam einfach keinen
Zugang zu dem Geheimnis.
„Alle glaubten, wenn alle alles nehmen und alle miteinander ficken, dann wird die Welt besser, dann kommt endlich der Frieden. Der Frieden kam leider nicht, Daddy wurde süchtig, und keiner hat's gemerkt, nicht mal er selbst.“ Jede der zugeknallten Tanten und Onkel befanden sich dauernd in einem Zustand der universellen Liebe, die ganze Welt war ein wildwuchernder riesiger Spielgarten, in dem das Leben ekstatisch gefeiert wurde. Bitter sprach sie von ihrer ersten Liebe, die an einer Überdosis falschen Pulvers krepierte, andere Freunde waren immer noch auf der Flucht. Der Preis für viele Missverständnisse von einfältigen Elternidioten. Sie ließ ihren Vater und die alten Städte hinter sich, nachdem sie sich dort nicht mehr sehen lassen konnte, und zog in die Berge.
Der alte Mann starrt mich an, als wäre ich ein Freak im Zirkus. Aber wer weiß das schon? Auf Reisen kann man ja alles sein, was man will, man kann Rollen spielen, Filme entwerfen. Deine wirkliche Stellung, deinen Beruf, deine Neigungen kennt keiner, und meistens glauben die Leute das, was man ihnen erzählt. Diesen Zustand der Offenheit, den ein Aufenthalt an fremden Orten immer mit sich bringt, sollte man ausnutzen, die gewohnten Hemmungen durchbrechen und verschwenderisch sein. Man kann sich größer machen, kleiner machen, man kann anders sein. Oder man legt einfach seine Uhr ab, setzt eine andere Brille auf und ist plötzlich unsichtbar.
Ich wusste, dass jede Reise auch eine Reise ins Innere war. Nirgendwo konnte ich mich so gut auf mich selbst konzentrieren wie einsam in der Ferne. Eintauchen in weite Wüsten, die sich aus Millionen Partikeln eigenen Erlebens zusammensetzten, die dann und wann schemenhaft Bilder zuließen, wie Dünen, die sofort wieder verweht wurden. Hier und da lagen ein paar Knochengerippe, Überreste von Vergangenem, unvergessene Momente, die so schnell auftauchten wie sie wieder verschwanden. Mein ganz eigener Film, ohne Drehbuch und Dramaturgie, unmöglich, einen Sinn zu entdecken, unmöglich aufzuschreiben, jeder Ansatz verlor sich viel zu schnell im Chaos, wurde überlagert von nächsten Gedanken, verwickelte sich in schizophrenen Windungen. Wo war der Schlüssel zu diesem Labyrinth, wo war der Code für diese glücklichen Augenblicke, die Klarheit brachten. Diese Augenblicke, die das Leben lebenswert machten.LINL
Noch heute findet man Cyberpunks als obdachlose Surfer in den Spinnweben
der neuen Technokratie - Geschwindigkeit ist ihr einziges Mittel,
um zu überleben, um nicht in den magnetischen Maschen gefangen
zu werden. Sie erforschten die Interzonen, besonders die zwischen
den multinationalen Konzernen und der Strassenkultur - und die Strasse
fand schon immer ihren eigenen Gebrauch für die technologischen
Kunstwerke ihrer Zeit - Anwendungen, von denen die Hersteller niemals
geträumt hatten.
Die abendländische Vorstellung von Realität wurde völlig
erschüttert. Es verbreitete sich die Überzeugung dass alle
Wirklichkeiten nur erfundene Wirklichkeiten waren. Die ‚Magie
des Imaginären‘ wurde aus den Nischen befreit, die Grenzen
zwischen echt und künstlich, zwischen wahr und unwahr, zwischen
rational und irrational lösten sich mehr und mehr auf. Alles
Künstliche galt als besonders intelligent und innovativ, der
Hunger nach Imagination wurde immer größer. Alles Hyper-Reale,
alles Un-Wirkliche wurde attraktiv, und bald schon nannte man diesen
Trend zur Auflösung aller Gewissheiten „Neo-Tech-Buddhismus“.
Writing is about making it happen! Du wirst schon hören, wenn die Worte nach Leben schreien, nach Liebe und Lust im Moment des Niederschreibens, wenn sie sich wehren und nicht auf dem Papier bleiben wollen, sich in spiralförmigen Kreisen um dein Ich drehen, unfassbar bleiben und sich so schnell wieder in dem Nebel auflösen, aus dem sie gekommen sind. Worte, die zu Wesen mutieren und dir plötzlich Stimmen und Musik schicken, oder einen kurzen leidenschaftlichen Geschmack, der verweht, wenn du ihn nicht sofort probierst. Wie aus dem Nichts sägen sie sich an dich ran, klammern sich an deine Nervenenden, lassen dich beben und zittern und zweifeln, da hilft keine Zigarette, kein Wein, kein Schreien. Dann, im Zustand höchster Verwirrung, wo Halluzina-tion und Wirklichkeit nicht mehr voneinander zu trennen sind, treten neue Worte auf, wie die Guides in der Medina, und versprechen dir Orientierung. Sie führen dich an neue Orte und bringen dich dabei auf immer eigenartigere Abwege.
ziellos zeit verstreichen lassen
glücklich ohne kekse
durch die straßen ziehen
alles ist gut ist wie es ist
schaufenster schauen und ab und zu
einen tee trinken, essen, rauchen
wenn du willst
daß die zeit vergeht
und langsam aber sicher
ihre wunden gräbt
bis moos wächst
wenn du dich nicht fortbewegst
der nächste zug ist deiner, zieh!
nur die katze hat neun leben
alle fragen gehen immer weiter
allein das denken an die zeit
verdirbt den spaß und
macht die wenigen momente kürzer
wenn du willst dass das licht einer sonne dir ihre warmen grüße
winkt
einen hauch von glück beschert
alles ist gut
einen kurzen leidenschaftlichen geschmack serviert
der sofort verweht wenn du ihn nicht probierst
besser als schokoladenkekse
und besser als jedes gedicht
hör auf, nach zeit zu fragen
es gibt keine antwort
alles geht weiter
als du je denken kannst
alles ist
wie du willst
es gibt keine zeit
nur gedichte