HÖR MIT SCHMERZEN / LISTEN WITH PAIN
VON KLAUS MAECK
in: Klaus Maeck, Einstürzende Neubauten. Hör mit Schmerzen / Listen with Pain, Bonn: EME, 1989, S. 7-15.
Es folgen Auszüge aus der deutschsprachigen Version des Textes.
HÖR MIT SCHMERZEN: "EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN ist ein positives Geräusch, vielleicht das positivste Geräusch überhaupt", erklärt Blixa Bargeld, "alte Gegenstände, Bedeutungen, Gebäude und auch Musik werden zerstört. Alle Spuren der Vergangenheit werden beseitigt nur daraus kann etwas wirklich Neues entstehen."
Den Einstürz ENDE n NEU bauten kann man diesen Anspruch, etwas wirklich Innovatives zu schaffen, abnehmen. Sind sie doch wirklich die einzigen, die bis jetzt konsequent unberechenbar geblieben sind. Bei jeder neuen Platte dieses deutschen Underground-Bestsellers gab es natürlich Stimmen, die Ausverkauf und Abstieg witterten, doch trotz wachsendem Applaus von etablierten Kulturinstitutionen oder von Teenager-Massen (wie in Japan) lassen sie sich von keinem vereinnahmen und provozieren weiter Schluckauf.
Mit diesem Buch verfolge ich das Phantom EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN auf seiner Reise durch die Zeit: Von Fans und Fotografen gesammelte Erinnerungen, eigene Statements und die von Freunden, von Journalisten und Fanzine-Schreibern aus Berlin und Tokio, von Kolumnisten der "Zeit" und des "Wall Street Joumal", Fotos von Ausflügen ins KZ oder in die Wüste und von endlosen Studiosessions für modische Magazine.
Es war noch kein Fotograf dabei, als Blixa sich einfach auf einen Stuhl stellte und im falschesten Moment anfing zu schreien (Tanze, tanze den Untergang!). Und natürlich war keiner dabei, als zwei Wochen später die Berliner Kongreßhalle einstürzte.
Mit einem selbstgebauten Stahlschlagzeug und einer verrotteten Gitarre machten sie sich auf den Weg. Sehnsucht kommt aus dem Chaos. Bei den Neubauten ist diese Sucht echt, das spektakuläre Äussere nicht aufgesetzt. Die Produktion ihrer Musik ist wirkliche Arbeit, körperlich und emotional erschöpfend. Ihre Werkzeuge sind Metall- und Kunststoffkörper, Stimme, Muskeln, Glas, Federn, Ketten, Bohr- und Flexmaschinen. Die Sounds, die durch dieses fröhlich-destruktive Handwerk entstehen, sind aufregend: die konventionellen Regeln der Musik werden schlicht ignoriert und damit beseitigt.
Ihre Intention, den Begriff Musik so zu erweitern, bis alles Musik ist, hat 1ängst auch die herkömmliche Popmusik beeinflußt. Und Blixas Songtexte über zerstörte Zellen und Städte werden von den täglichen Nachrichten ständig überholt. Ihre radikale Botschaft von der Lust am Untergang hinterließ ihre Wirkung: schnell wurden die Neubauten zur gefragtesten Kultgruppe dieser Zeit, natürlich erstmal nur im Ausland. Von der hiesigen etablierten Rock-Kritik belächelt und bestöhnt, wurden ihre Platten.in England produziert und weltweit verkauft. Erst nach diesem Umweg, den vor ihnen so viele Klassiker gehen mußten, wurden sie auch in ihrer Heimat respektiert.
Plötzlich standen dann Fotografen und Konzertveranstalter Schlange, um einen Termin mit ihnen zu bekommen, und die Neubauten standen in internationalen Berlin-Kultur-Reiseführern. Auf der Weltausstellung 1986 waren sie dann der offizielle deutsche Musikbeitrag; staatliche Theater inszenierten ein klassisches Ballett zu ihrer Musik (Göteborg) oder engagierten sie für ein schlechtes Musical (Zadeks "Andi" am Hamburger Schauspiethaus), das dadurch bis zum Schluß ausverkauft war (siehe Kapitel X: "Ich Bins", ab S. 104). Mercedes Benz stellte ihnen einen Wagen zur Verfügung, die "Bild"-zeitung startete eine neue Serie über verrückte Musiker und die Grünen benutzten einen alten Song für ihre Wahlkampfwerbung: "Bis zum Kollaps..."
Blixa zuckt mit den Schultern und grinst: "Aber ich glaube, es ist ziemlich schwer, uns zu schlucken. Das ist so, wie wenn man Bauklötze kaut."
Zuckendes Fleisch. 1. April 1980. EINSTÜRZENDEN EUBAUTEN gaben ihr erstes Konzert in Berlin. Wer nicht da war, holte sich die Live-Kassetten in Blixa's Second-Hand-Laden EISENGRAU, in dessen Schaufenster ein aufgebrochener Zigarettenautomat samt Brechstange sowie Schaufensterpuppenkörperteile lagen, im Hinterzimmer lagen aufpeitschende Vitamine und Klangkörper jeder Art.
Ein anderes historisches Hinterzimmer war das vom "Zensor", hier gab es die aktuellsten Punk- und Avantgardeplatten aus aller Welt, und aus diesem Nest strömten immer mehr "geniale Dilletanten" (nicht: Dilettanten!), um die deutsche Musikkultur auf den Kopf zu stellen. Und von hier aus wurde auch die allererste Single der Neubauten verkauft, die in einem Hohlraum einer Autobahnbrücke aufgenommen wurde (siehe Wolfgang Müller: "Eingeschlosse Bergleute", S .18 und Kapitel II: "Geniale Dilletanten")
In Hamburg war ein halbes Jahr zuvor ABWARTS entstanden. F.M.Einheit klebte die Stadt voll mit Aufklebern: "Arsch Hoch sucht Musiker"; in Frank Z. , Mark Chung und Axel Dill fand er geeignete Mitstreiter: geschmacklos und häßlich, gemein und hart, zynisch und vor allem ehrlich. Sie feierten ihre Erfolge noch vor der hinterhältigen neuen deutschen Welle, bei den berüchtigten Hamburger Punkfestivals und auch im "Gasthof zur Post" in Ampermoching bei Dachau. Richtig ausgelassen wurde die Party dort, als die Abwärts-Fans Blixa Bargeld und N.U.Unruh im Publikum auftauchten. Gemeinsam besuchten wir am nächsten Tag das nahegelegene ehemalige KZ. Makabre Stimmung kam auf, zu sehr ähnelten sich unsere kurzgeschorenen Haare und Pyjamahosen den großflächigen Fotos der einstigen Insassen. Ich bin sicher, daß hier die ersten Pläne für eine gemeinsame Zukunft beschworen wurden.... (siehe F.M.Einheit, "Kein Erbarmen", S. 24)
F.M.EINHEIT war schon damals nicht zu halten: Bei Abwärts spielte er auf Spielzeuginstrumenten am Radio und mit allem, was Krach machte; nebenbei spielte er "richtiges" Schlagzeug bei den frühen PALAIS SCHAUMBURG und bei dem kurzfristigen Art-Orchester NACHDENKLICHE WEHRPFLICHTIGE (u.a. mit Albert Oehlen und Diedrich Diederichsen, siehe D. Diederichsen: "Fischauge", S. 22)
Nicht viel später wurde F.M. auch festes Mitglied bei den Neubauten, Zu dritt bastelten sie an der Doppelsingle "Kalte Sterne" und an der ersten LP "Kollaps" Noch taten Blixa und N.U.Unruh dem vielbeschäftigten F.M. den Gefallen, zu den Studioaufnahmen nach Hamburg zu kommen. Dank ihrem ständigen Drang, natürliche Raumklänge und organische Sounds zu verwenden, finden sich auf den ersten Platten u.a. Schiffshupen und Fischmarktgeräusche (das "Hafenklang Studio" liegt direkt an der Elbe) oder Fetzen aus geklauten Tonbändern oder aus Abwärts- Platten. Als sie auch noch deren Bassisten Mark klauten, ging es mit Abwärts zuende. (Nach jahrelanger Pause ist Abwärts seit 1988 in neuer Formation, aber alter Form wieder auf den Bühnen, auch F.M. mischt wieder mit.)
Die Neubauten waren jetzt zu viert (ab Kapitel III: "Atonale Strategien", S. 36), und ab 1983 stieß auch der 16jährige ALEXANDER VON BORSIG alias HACKE, der schon mal in der Anfangsphase kurz dabei war, wieder zur Band.
Alle der bisher erwähnten Gruppen wurden von Alfred Hilsberg auf seinem ZICK ZACK-Label produziert. "Lieber zuviel als zuwenig" war sein Label-Motto, und in diesem kreativen Boom entstanden unzählige Platten, neue Gruppen und neue Läden: ich z.B. durfte diese Platten alle verkaufen und gründete zu diesem Zweck den RIP OFF-Vertrieb, den ersten Versuch, einen von der Industrie unabhängigen Großhandel für diese neue Musik zu etablieren. Ich habe heute noch unglaublich viele Aktenordner, Heftklammem, unverkäufliche Singles und Schulden aus dieser Zeit. Dem "Punk-Papst" Hilsberg ging es eine Weile nicht viel besser, doch er veröffentlicht auf seinen diversen Labels (What's So Funny About / Scratch'n'Sniff / Cashbeant) noch heute die Kult- Stars von morgen (siehe Alfred Hilsberg, "Macht? Magie? Wahnsinn?". S.36).
In England wurde man aufmerksam auf diese kaputten Deutschen. Die innovativsten Label MUTE und SOME BIZARRE veröffentlichten die nächsten Neubauten-LPs, "Die Zeichnungen des Patienten O.T." und eine Compilation alter Stücke ,"Strategies Against Architecture". Das Londoner ICA veranstaltete ein aufsehenerregendes Konzert, das abgebrochen werden mußte, bevor der Club von Musikem und Publikum abgebrochen wurde, und der New Musical Express hatte eine gute Coverstory (siehe Kapitel IV: "Collapsing New Buildings", ab S. 48).
In Amerika und Japan, wo Extreme immer gern gesehene Gäste sind, war man um neue Begriffe nicht verlegen: Schnell wurden die (unaussprechlichen) Neubauten zum "King Of Industrial Rock", ihre Musik zum "Junk Rock". Unvergessen bleibt der Auftritt in der kalifornischen Wüste, zu dem die Zuschauer in eigens gecharterten Bussen gefahren wurden (siehe "Blow Up The Desert, S. 68); völlig neu für die Neubauten war die Begeisterung der kreischenden Teenies in Japan, die mit Teddybären und Blumen um sich warfen. Und zu ihrer vierten LP "Halber Mensch" drehte der japanische Regisseur Sogo Ishi einen einstündigen Film gleichen Titels (siehe Kapitel VII: "Big In Japan", ab S. 74) .
Sie waren exotische Tiere aus der Kult-Insel Berlin. Andere Exoten kamen zum Arbeiten mit ihnen, wie LYDIA LUNCH oder ROWLAND S. HOWARD von BIRTHDAY PARTY, mit denen die Maxisingle "Durstiges Tier" entstand. Sie machten Eindruck auf der Biennale in Paris und auf der Documenta in Kassel. Ähnliche Gruppen entstanden, wie die kurzlebigen Krupps oder Kowalski in Deutschland, TEST DEPARTMENT in England und Nachahmer in Amerika. Popgruppen bedienten sich ihrer Ideen (wie Fad Gadget, Howard Jones etc.) oder klauten einfach direkt ihre Sounds (wie DEPECHE MODE, was natürlich auch dem gemeinsamen Produzenten Gareth Jones zu verdanken ist).
Splitterndes Glas, quietschendes Styropor, tropfendes Wasser, zuckendes Fleisch. Mit dem Beil auf die Lüftungsschächte, mit einer Klinge auf die Spiegel hacken. Doch keiner hatte die Konsequenz der Neubauten, die die einzigen waren, die wirklich ihre eigenen Bühnen zersägten, aufbohrten oder verbrannten. Bald hatten sie Schwierigkeiten, noch Veranstalter zu finden, die bereit waren, das Risiko einzugehen. Doch eine Popband als Abrißunternehmen, genau das wollte das Publikum sehen... und spätestens deshalb hörten die Neubauten auf damit. Heute braucht Unruh seinen Riesenbohrer nur noch in die Luft zu halten, um das Publikum zum Toben zu bringen.
TON, STEINE, SCHERBEN (sic!) war die einzige Band, in deren Tradition sich Blixa sieht. Diese Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit (siehe Rio Reiser: "Phrase Memory", S. 108). Und RIO REISER's Platte ist nicht die einzige, auf der F.M. inzwischen als Gastmusiker erwähnt ist. Zwischendurch trommelte er für MONA MUR oder KIEV STINGL, spielte live mit DIAMANDA GALAS oder produzierte Songs von KMFDM und DIE ERDE (siehe "Nackt Unter Kannibalen", S. 88).
ALEXANDER von Borsig, der nach vielen eigenen Projekten unter diesem Namen oder Gastspielen mit SPRUNG AUS DEN WOLKEN jetzt wieder HACKE ("Slowhand Hack") heißt, tobt auch an der Gitarre bei der aktuellen Formation von CRIME & THE CITY SOLUTION, produziert Heavy-Vorstadt-Bands oder ist Studiogast bei Aufnahmen von PIG oder NEGATIVLAND. Seine Solo-Single "Hiroshima", NME-single Of The Week 1982, ist ein begehrtes Sammlerstück, wie auch viele andere seiner Kassetten oder längst vergriffene Neubauten-Frühproduktionen.
N.U.UNRUH ist der einzige, der sich neben den Neubauten nicht weiter musikalisch engagiert, außer daß er begeistert seinen kalifornischen Freunden von SURVIVAL RESEARCH LABORATORIES (die riesige selbstkonstruierte Zerstörungsmaschinen aufeinander losjagen), hilft, um ihnen Auftritte in Europa zu ermöglichen.
Und MARK CHUNG erledigte von Anfang an die geschäftliche Seite. Früh erkannt, daß sich in dieser Branche eine Vielzahl von Parasiten herumtreiben, verwaltete er die Urheberrechte an ihrer Musik selbst und präsentierte 1988 nach jahrelangem stillem Ausprobieren sein zumindest für Deutschland ungewöhnliches Modell eines Musikverlages der Öffentlichkeit. Seit der ersten aggressiven Werbung von FREIBANK auf der Musikmesse MIDEM ärgert sich die Lobby der etablierten Verleger über die Offenheit, mit der Chung die Musiker über ihre Rechte und Verdienstmöglichkeiten aufklärt. Der Verlag arbeitet heute schon für eine stattliche Anzahl von Bands, nicht nur aus dem Independent-Bereich.
Und BLIXA BARGELD, "die sehnsüchtig-neurotische Frontfigur, mittlerweile das Identifikationsobjekt des deutschen postunderground von der FAZ bis zur TAZ" , unterstützt NICK CAVE und seine BAD SEEDS bei deren düsteren Blues-Visionen, Cover-Versionen und Film-Soundtracks (siehe Nick Cave: "Disteln in der Seele", S. 84).
Aber noch heute hört man die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN nur selten im Radio, obwohl sie auf ihren letzten LPs mehr und mehr Liebeslieder flüstern. Denn die Intensität ist geblieben, die eindeutige Stellungnahme gegen jede Beliebigkeit. Sie könnten sich vergolden lassen. Sie könnten, doch... urplötzlich wird es wieder kompromißlos laut. Der Regisseur des Musicals im Hamburger Schauspielhaus ließ sogar kostenlos Ohrstöpsel für die Zuschauer verteilen, um den höllischen Krach ertragen zu können (oder um wenigstens ein paar Schlagzeilen zu bekommen, siehe "Schmerzgrenze Hamburg", S. 110).
Der BZ-Fotograf, der die eingestürzte Kongreßhalle geknipst hatte, wollte mich beinahe verprügeln, als ich ihm erzählte, daß ich sein Foto für ein Buch über die ultimative Popgruppe des Jahrzehntsv erwenden wollte. Was für ein Spaß: Hör mit Schmerzen!
Max. Volume